Der historische Trinkzug
Die Geschichte der Ahrweiler Trinkzüge
Festvortrag von Hans-Georg Klein
Liebe Freunde,
wenn Ihr aufmerksam gewesen seid, müsst Ihr spätestens schon jetzt es großes Fragezeichen setzen. Historische Trinkzüge in der Mehrzahl?
Viele hier im Saal haben als Junggesellen schon einmal an einem historischen Trinkzug in Ahrweiler teilgenommen. Es erheben sich die Fragen, warum, seit wann und wieso.
Auf der Suche nach den Wurzeln des Historischen Trinkzuges der St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler stößt man zunächst auf den Trinkzug des Neuenahrer Richters mit Anhang. Dieser Trinkzug ist uns in einigen Varianten urkundlich überliefert.
Die größten Weinbergsbesitzer im alten Ahrweiler waren die Klosterhöfe von Prüm, Klosterrath, Steinfeld und des Reichsstiftes Maastricht. Es kamen jedes Jahr etliche Fuder ein und mussten zum jeweiligen Kloster transportiert werden. Da aber die Vogtei Ahrweiler ringsum von Ausland umgeben war, mussten an den Grenzen erhebliche Zölle bezahlt werden, so dass die Weine so teuer wurden, dass sich der Anbau kaum noch lohnte. Man sollte ja die Kuh melken und nicht schlachten. Deshalb setzten sich die Jeulsche mit den Ahrweiler Klosterhöfen an einen runden Tisch und verhandelten über Transitgebühren. Man schloss schließlich folgenden Kompromiss, der über Jahrhunderte Bestand hatte:
Der Prümer Hof, ebenso wie der Klosterrather und der Maastrichter gaben als Transitgebühr jährlich jeweils 14 Quart Wein (ca. 32 l) und dazu einen Korb Trauben. Der Steinfelder Hof als das größte Weingut gab das Doppelte. Damit aber Jülich nicht mit schlechtem Wein abgespeist würde, konnte der Wadenheimer Richter in den Klosterhöfen jeweils Fässer anstechen - aber höchstens drei -, den Wein verkosten und dann auswählen, küren (daher Kurwein). War er beim dritten angekommen, musste er diesen Wein nehmen.
Der Richter, der zunächst von einem Knecht begleitet wurde, musste im Klosterhof beköstigt werden und durfte vom angestochenen Fass so viel trinken, wie ihm beliebte. Das war schön so. Also kamen mit der Zeit immer mehr Neuenahrer zur Unterstützung des Richters mit. Einige trugen die Weinkannen, andere die Körbe, wieder andere kamen als Berater mit. 1758 klagt der Steinfelder Kellner, der Richter bringe nicht nur 2 bis 3 Geschworene mit, sondern Schöffen, Bürgermeister, Gemeindeleute, Kellerknrechte, Boten und andere von ihm, dem Richter, aufgeforderte Personen. Darüber klagt die Abtei mehrmals ohne Erfolg. Nach ausgiebigem Genuss der Kellerweine wurde aus dem einen Tag lang andauernden Trinkzug von Keller zu Keller dann ein richtiger Wackelzug. Jetzt will ich nicht behaupten, der Ahrweiler Wackelzug in der Nacht von Freitag auf Samstag nach Fronleichnam habe hier seinen Ursprung.
Fast immer, klagte damals der Steinfelder Kellner, hätten die Jeulsche so viel gesoffen, dass sie anschließend - toll und voll - in Durcheinander und Streit gerieten.
So senn se, die Jeulsche!
Eine andere Art Trinkzug, weil gesitteter, fand jährlich am ersten Mai statt. Dann wurde von den 15 Ratsherren aus der Mitte der 7 Schöffen der Ahrweiler Bürgermeister gewählt. Und der musste nach altem Recht auf dem Prümer Hof vorgestellt werden und wurde dort bis 1794 mit dem Bürgermeisteramt belehnt. Dieses Recht des Klosters Prüm stieß zunehmend auf Widerspruch und damit es wenigstens optisch wie eine freiwillige Vorstellungsrunde aussehen konnte, stellte man den Bürgermeister auch noch auf den anderen Kloster- und Adelshöfen vor. Aber viel getrunken werden die Herren nicht haben, denn die alten Ratsprotokolle berichten, dass anschließend noch etliche weitere Wahlen auf dem Rathaus stattfanden, und anschließend musste der neue Bürgermeister den ganzen Rat noch in seinem Haus mit dem Bürgermeisteressen beköstigen. Also feststeht, Trinkzügen waren in Ahrweiler schon historisch belegt.
Wenden wir uns jetzt dem historischen Trinkzug der St. Sebastianus-Bürger-Schützen zu, der von östlichen Nachbarn oft als Saufzug diffamiert wird.
Bei der Suche nach den Wurzeln des Historischen Trinkzuges der Ahrweiler Schützen sprudeln die Quellen nicht mehr so kräftig wie bisher. Es gibt zu denken, dass die erste direkte Erwähnung eines Trinkzuges im Schützenarchiv aus dem Jahre 1903 stammt. Dort heißt es in der Planung des Verwaltungsrates für das Jubelfest: „8 ½ Uhr Antritt der Gesellschaft vor dem Ahrtor. Zug zum Rathaus und Entgegennahme des Stadtgeschenkes (Hauptmannskette). Als dann herkömmlicher Trinkzug durch die Stadt bei festlicher Illumination derselben.“ Das ist leider alles. Warum findet sich in unserem Archiv sonst nichts? Die Frage ist berechtigt, aber einfach zu beantworten. Der Trinkzug war und ist keine Veranstaltung der Schützen.
Für den Trinkzug wurde nie Geld ausgegeben, also existieren auch keine Rechnungsbelege. Der Trinkzug war und ist eine Veranstaltung der Bürgerschaft für die Schützen. Allerdings berichtet der Bonner Leopold Kaufmann aus dem Jahre 1834 in seinen „Jugenderinnerungen an Ahrweiler“, dass am Pfingstmontag regelmäßig der Königsschuss getan wurde. Anschließend sei der Sieger im Triumph in die Stadt geführt worden, wo ihm und der Schützengesellschaft an vielen Häusern der Ehrentrunk gereicht worden sei.
Wenn wir schon keine weiteren direkten Belege für die frühe Existenz haben, so wollen wir uns auf indirektem Wege den Wurzeln nähern. Die Stadt Ahrweiler ist in der glücklichen Lage, im Archiv über mit die ältesten Stadtrechnungen im Rheinland zu verfügen. Dort sind einige wichtige Hinweise zu finden. Die älteste Stadtrechnung stammt aus dem Jahre 1487. Dort heißt es: „Item da die Schützen den Vogel schossen, ihnen geschenckt up die Helle 4 Quart.“ Dieser Satz zieht sich fast wortwörtlich durch alle nachfolgenden Rechnungen. Wir entnehmen der Rechnung folgendes:
Nach dem gelungenen Königsschuss gab die Stadt dem Schützenkönig und seinen Begleitern den Ehrentrunk, der sonst nur Adligen und Großkaufleuten gereicht wurde. Dieser
Ehrentrunk, Propina genannt, machte einen beträchtlichen Teil der städtischen Ausgaben aus. Das Wort Propina kommt aus dem lateinischen propinare heißt nämlich zutrinken, zuprosten. Mit diesen vier Quart wurde städtischerseits den Schützen zugeprostet jedes Jahr nach dem Königsschuss. Unabhängig davon erhielten die Schützen von der Stadt für das ganze Jahr als „Trinkgeld“ 24 Mark. Mit diesem Geld konnte man ca. ein Ohm Wein kaufen, das sind etwa 190 l..
Der genannte Ehrentrunk von 4 Quart war umgerechnet ca. 9,2 l. Einige Zeit später heißt es 1631: „Auf Corporis Christi (= Fronleichnam) hat der Rat dem König verehrt 6 Viertel Weins.“ 1633: „Item als der Vogel geschossen wurde, an die Ahrportz holen lassen 1 Viertel (= 9,2,l).“ Eine Überraschung für uns alle. Der Königsvogel wurde auf dem Ahrtor aufgerichtet und nicht auf dem Green, wie lange vermutet wurde.
Auf dem Green fanden allerdings die Schießwettkämpfe mit den auswärtigen Bruderschaften statt. Ein weiter Beleg für den Königsschuss am Ahrtor aus dem Jahre 1633: „Item als am 1. Juni der Vogel auf die Ahrportze gesetzt worden, den ufsetzern nach alten Brauch gelangt 4 q.“
Die wahrscheinliche Wurzel des Schützentrinkzuges liegt im 1487 erstmals belegten Ehrentrunk für die Schützen auf der Helle, dem damaligen Ratshaus, dem sich dann immer mehr Bürger als Gastgeber anschlossen. Die Schützen zogen also jährlich vom Ahrtor zum Marktplatz in das dortige Rathaus zur Vorstellung der neuen Majestät beim Bürgermeister und dem Rat. Diese revanchierten sich mit dem Ehrentrunk für die Schützen. Unterwegs durch der Ahrgasse sind die Schützen sicherlich nicht dürstend marschiert. So gesehen gehört nicht viel Mut dazu, zu behaupten, den Historischen Trinkzug gibt es in Ahrweiler schon seit mindestens 1487. Also haben wir in sechs Jahren wieder ein Jubiläum: 525 Jahre Trinkzug der Schützen in Ahrweiler.
Liebe Freunde,
es ist schon immer das Bestreben eines jeden Schützenbruders gewesen, den Trinkzug durchzustehen. Dabei muss jedem Teilnehmer klar sein, dass der Trinkzug in Wirklichkeit schon mittags um 3 Uhr in der Quarzkaul, also auf dem Schießplatz beginnt. Wer glaubt, dort mit etwa 10 Bier vorglühen zu müssen, hat schlechte Chancen frühmorgens am Ziel anzukommen.
Im Übrigen möchte ich bemerken, ein Malörchen kann jedem Schützenbruder passieren, sich davon freizusprechen ist pure Heuchelei. Dann aber ist es Schützenpflicht, diesen Bruder zu entsorgen und ihn nicht zum Gespött der Zuschauer weiter torkeln zu lassen. Zum Schützenbruderwesen gehört auch die Fürsorge für den Mitbruder.
Für alle, die hier im Saale sich nicht so gut auskennen, sei noch mal darauf hingewiesen, dass der historische Trinkzug in der Regel alle drei Jahre stattfindet, also immer dann, wenn der neue Bürgerkönig der Bevölkerung vorgestellt werden soll. Während des Trinkzuges, der abends um 8 Uhr beginnt, wird an ca. 150 Altärchen von den Anwohnern Rotwein kredenzt. Wenn man überlegt, dass dies auch bedeutet, etwa 150 Schlucke vom guten Rotspon zu genießen, dann wird ersichtlich, welch große Aufgabe von den Schützen dabei zu bewältigen ist.
An diesem Trinkzug, entstanden zu Ehren des neuen Schützenkönigs, nehmen inzwischen auch die St. Laurentius- und die St. Lambertus-Junggesellenschützen teil. Lantershofen ist in Ahrweiler immer herzlich willkommen. Gemeinsames Trinken verbindet.
Ich will auch die zunehmenden Schwierigkeiten nicht verhehlen. Immer mehr Einzelhändler schließen und Ladenketten übernehmen deren Geschäftslokale. Diese Ladenketten haben nicht mehr viel Interesse am heimatlichen Brauchtum. Andere Mitbürger stellen sich die Frage, warum soll ich mir die Nacht um die Ohren schlagen, was bringt mir das? Die Menge der Schützen wird immer mehr, die Wartezeiten immer länger. Der Verwaltungsrat der Bürger-Schützen steht also vor neuen Denkaufgaben.
Es ist nur zu hoffen, dass dieses uralte, einzigartige Brauchtum uns und unseren Nachfahren noch lange erhalten bleibt.